Die Richtung „Abstrakte Kunst“ begann um 1910, als die ersten Maler und Bildhauer sich immer weiter von der Wiedergabe oder Interpretation der realen Welt in ihren Werken entfernten. Letztlich muss man differenzieren zwischen „abstrakt-abstrahierender“ und „abstrakt-gegenstandsloser“ Kunst. Erstere abstrahieren vom Gegenstand, letztere bedienen sich autonom der künstlerischen Mittel ohne jeden Gegenstandsbezug. Seit ihren Anfängen hat Abstrakte Kunst in immer neuen Varianten, Stilrichtungen und Zusammenhängen ihren Platz in der Kunstszene behauptet. Sie brachte herausragende Bildhauer hervor, so beispielsweise Alexander Archipenko (1887–1964), Hans Arp (1887–1966) (auch: Maler und Dichter), Constantin Brâncuși (1876–1957), Alexander Calder (1898–1976), Lucio Fontana (1899–1968) (auch Maler), Joan Miró (1893–1983) (auch Maler), Henry Moore (1898–1986) und Frank Stella (1936) (auch Maler).

Ebenso, wie Jürgen Ebert das Gegenständliche gelingt, beherrscht er die eher gegenstandslose oder gegenstandsfreie Kunst – folglich per definitione die „Abstrakte Kunst“. Doch auch hier greift beim Werk von Jürgen Ebert die definitorische Zuordnung nicht umfassend genug. Wenn Jürgen Ebert im plastischen Schaffen von der Gegenständlichkeit in die Abstraktion übergeht, so ist dies keine Abkehr, keine Wandlung seiner künstlerischen Intention, sondern die konsequente Fort­führung gewonnener Erkenntnisse und Erfahrungen.

Die ersten abstrakten organischen Skulpturen hat Jürgen Ebert in der Akademiezeit 1979 geschaffen. Abgeleitet aus der menschlichen Psyche, reduziert auf das Wesentliche in der Kompression war der entscheidende Prozess für die Klarheit in der symbolischen Formensprache der Bronzen „Votiv I“ und „Votiv II“. Fortgeführt werden diese Gedanken 1983 in dem Bronzemodell „20. Juli 1944“. Das Regime wird symbolisiert durch die statische Säule, die aus dem Boden heraus wächst. Der Widerstand, dargestellt in der Kompression, versetzt die Grundlage und Bestimmtheit des Nationalsozialismus in seiner zeitlich begrenzten Endphase, spürbar in der verschobenen restlichen Säule.

Der Übergang aus der abstrakten gegenständlichen Skulptur hin zur abstrakten eigenständigen Form entstand in der Skulptur „Innovation“ von 1996. Die Intention des Künstlers: „Aus dem Ursprünglichen wächst, sich drehend, ein weiblicher Torso als Synonym der Wiedergeburt und Schöpfung, nicht endend in der Gegenständlichkeit, sondern in einer im Kreis verlaufenden Form der Unendlichkeit.“ (Jürgen Ebert)

Die neuen drehbaren Skulpturen „Unendlich I“ und „Unendlich II“ sind eine Weiterentwicklung der Formensprache aus der Skulptur „Innovation“ von 1996 (siehe Seite 97) und dem „liegender Torso“ von 1997. Die Skulpturen „Unendlich“ in ihrer organischen Form haben für J. E. den Anspruch nicht nur in Bronze gegossen sondern auch aus einem gewachsenen Naturmaterial geschaffen zu werden. So wurde erstmals seit der Bildhauerschule in Oberammergau das Material Holz, für diese Skulptur Nussbaum, gewählt und ausgeführt.

J. E. bildhauerisches Vorgehen besteht in der Reduzierung auf elementare Grundformen, die in der Oberfläche glatt geschliffen sind. Der materielle Glanz der geschliffenen Bronzeoberfläche darf nicht als Dekoration verstanden werden, sondern als Öffnung zum Raum und als Voraussetzung eines trans­parenten Wechselspiels von klaren runden Formen und der umlaufenden strengen spannungsvollen Kantenlinie, wobei der Lichtreflexion eine weitere besondere gestalterische und räumliche Aufgabe zufällt.

Die Wahrnehmung des Raums der Skulptur „Unendlich II“ hängt also nicht nur von der dreidimensionalen Form ab, sondern auch von der geschliffenen Oberfläche, der daraus resultierenden Lichtreflexion, der Farbgebung und der umlaufenden Kantenlinie. Die Durchdringung des eigenen Raumes erscheint für den Betrachter wie ein Kosmos, den er erst in der intensiven Auseinandersetzung erspüren kann. Die umlaufende Raum- und Formimagination erscheint unendlich zu sein.

Die Rückbesinnung auf geometrische Grundformen wie der formvollendeten Kugel und des nicht endenden Kreises entspricht nicht nur seinem architektonischen Formendenken, sondern auch gleichermaßen dem immer wiederkehrenden Bestreben nach der Abstraktion in seiner bildhauerischen Formensprache.